Der erzählende Mensch - Rückblick auf eine Denkwoche zum Narrativen, die eigentlich gar nicht stattfand

Es gelte, sich aufzumachen auf den Wegen zu einem anderen Denken - so nennt es die Philosophin Ute Guzzoni, wenn es darum ginge, die Stimmung der Zeit zu skizzieren. Dieses neue Denken beschreibt sie als ein Denken, das nicht nur wie ein Netz dazu da sei, die Welt in Begriffen zu erfassen und einzufangen, zuzuordnen und sich ihrer zu bemächtigen. Das neue Denken hätte vielmehr den Charakter eines Spaziergangs. Sie nennt es ein landschaftliches Denken, das nichts anderes will in diesem Moment als sich einzulassen und dem lauschen, was die umgebende Landschaft mitzuteilen hat. Es ist diese Idee eines erzählenden Denkens, die uns auf Chateau d‘Orion zum Greifen nah wurde – oder ergriffen hatte?

Denn dies alles hat eine wunderbare kleine Gruppe inmitten einer sanften und aussagevollen Landschaft fünf Tage einfach getan. Wir haben uns dabei auf dieser Grundlage Ute Guzzonis daran erinnert, dass, bevor der Logos im Abendland die Regie übernahm, der Mythos vorherrschte: die Erzählung des Wissens hatte Priorität, der Rückgriff auf Elemente der Mythologie, das mündliche Wort. Wir waren bei Platons Gastmahl zu gegen, wir haben die Geschichte von der Liebe und den Kugelwesen gehört, sie beschreibt eine entscheidende Stelle des Menschseins detailreich und suchend beschreibt. Wir sind mit dieser Leidenschaft im Sinn weitergezogen zu Hannah Arendt, die die eigentliche Tätigkeit des Menschen und seine Conditio Humana mit seiner Fähigkeit zum Neubeginn beschreibt und dies am Bild einer Geschichte anschaulich macht, die wir aufgefordert sind zu erzählen, wenn wir leben. Wir verweben unsere Fäden unserer eigenen Erzählkultur mit der Erzählung anderer Menschen - und so entsteht ein Gewebe, das hält innerhalb der Offenheit und Unplanbarkeit der Welt, in die wir geworfen wurden. Aspekte der Gesprächs-Therapie kamen uns ebenso in den Sinn, wie Reflexionen der heilsamen Qualität des Dialogs, hier machten wir kleine Ausflüge in die Psychologie.

Wesentlich aber war: wir alle hatten uns auf die Idee dieses anderen Denkens eingelassen, wir erfuhren die Erleichterung, wenn Denken Schauen sein darf, nicht Ermächtigung. Wir vergaßen unseren „Stoff“, waren ganz im bunten Gewebe. Was passiert, wenn ich erzählend sein darf und nicht wissend im Sinne der Berichterstattung? Es war nichts gewollt gewesen, und doch so viel passiert. „Das Denken ist ein Erhören, das erblickt“ sagt Heidegger und dass dies gelang, lag neben dem Vertrauen und sinnstiftenden Mut auch wesentlich daran, dass Elke und Tobi und ihr Haus voller Geschichten das erzählende Dasein für mich verkörpern. Geist und Sinn und Essen und Leib und Sterne über uns schafften die besondere Gleichheit, die alle aufhorchen und philosophisch mutiger werden lässt. Ute Guzzoni wäre sehr zufrieden mit uns gewesen auf den neuen Wegen, aber auch ohne sie waren wir am Ende der Woche im Denken gewachsen, wie sicherlich auch die Platane, die alles, wirklich alles mitbekommen hatte.

 

Mit Dank an alle guten Geister des Schlosses - bald geht es weiter    (vom 15.05.-21.05.2022 – Anm. d. R.)

Celina von Bezold